Tabaklobbyismus

Am 3. September 2010 brachte 3sat in der Sendereihe Scobel einen Bericht über die „Macht des Lobbyismus“. Ein Teil der Sendung galt der Tabakindustrie. Hier der Text zu diesem Teil der Sendung:

Über viele Jahre wurden die Gefahren des Rauchens systematisch klein geredet.

Jahrzehntelang hat die US-amerikanische Tabakindustrie die Öffentlichkeit manipuliert. Interne Dokumente der Zigarettenindustrie belegen, dass sie den Verbraucher systematisch über die Gefahren des Rauchens und Passivrauchens getäuscht hat. Das Wohlwollen von Politik, Wissenschaft und Medien sicherte sich die Industrie durch Sponsoring und Forschungsaufträge.

Auch in Deutschland gibt es Politiker und Journalisten, die sich für die Tabakkonzerne einspannen lassen. Eine geschickte PR-Maßnahme ist der „Liberty Award“ der Firma Reemtsma. Der Preis geht an einen Journalisten, der sich beispielhaft für die Freiheit eingesetzt hat. Indem man das Rauchen mit dem hohen Gut der Freiheit verbindet, will man die lästige Gesundheitsdebatte ins Abseits schieben.

Wie stark die Tabaklobby in Deutschland verankert ist, zeigt sich am Beispiel der Zigarettenwerbung. Ausgerechnet das deutsche Gesundheitsministerium spricht sich Anfang der 1990er Jahre gegen ein absolutes Werbeverbot für Tabakprodukte in der Europäischen Union aus. Den Vorschlag für ein aufgeweichtes Verbot übernimmt sie vom „Verband der Cigarettenindustrie“. Auf dem Höhepunkt der Debatte verteilt die Tabakindustrie Spenden an alle Parteien.

Erst Strafzahlungen bringen Bewegung

Allein 80.000 DM gingen an die Partei des damaligen Gesundheitsministers Seehofer. Der setzte sich 1997 in Brüssel erneut gegen das Verbot ein. Eine Studie aus dem eigenen Hause, die die Verführung Jugendlicher durch Tabakwerbung bestätigte, hielt er unter Verschluss. Als sich das Werbeverbot nicht mehr verhindern ließ, ordneten Seehofer und später auch Kanzler Schröder Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof an. Erst als hohe Strafzahlungen drohten, kam eine entsprechende Gesetzinitiative in Gang.

Mit Antritt der schwarzroten Koalition wurde das Rad wieder zurückgedreht. Der neue Verbraucherschutzminister Seehofer ließ sich von Strafzahlungen in Millionenhöhe nicht beeindrucken und stoppte die Gesetzesinitiative. 2006 machte der Europäische Gerichtshof der Posse endlich ein Ende, indem er die Klage Deutschlands gegen das Werbeverbot einfach abwies.

Deutschland hinkt hinterher

Ein weiteres Gebiet, auf dem Deutschland seinen europäischen Nachbarn nachhinkt, ist das Rauchverbot in Gaststätten. Im September 2006 berät eine Arbeitsgruppe des Bundestags über ein Gesetz zum Nichtraucherschutz. Dem Gremium lag ein Entwurf vor, der jedoch viele Ausnahme vom Rauchverbot zuließ. Kein Wunder, der Text wurde direkt aus einem Papier der Tabaklobby herauskopiert, ohne seinen Verfasser zu nennen. Das Gremium beschloss dennoch ein weit reichendes Rauchverbot.

Wenige Tage danach meldete sich jedoch Innenminister und Pfeifenraucher Wolfgang Schäuble und behauptete, der Bundestag wäre für ein Rauchverbot in Gaststätten gar nicht zuständig, sondern die Länder. Diese juristisch umstrittene Aussage beruhte auf einem 13 Jahre alten Gutachten, das sein Ministerium gerade noch rechtzeitig gefunden hatte.

Die Luft wird immer dünner

Die Autoren der Studie arbeiteten im Auftrag einer „Forschungsgesellschaft Rauchen und Gesundheit“. Deren Gesellschafter waren zufällig auch Funktionäre des „Verbandes der Cigarettenindustrie“. Mit der versteckten Finanzierung von scheinbar unabhängigen Studien beeinflusste die Tabakindustrie seit Jahrzehnten Politik und öffentliche Meinung. Dabei passte sie ihre PR perfekt den jeweiligen Erfordernissen an.

Doch die Luft wird immer dünner. In den USA sind milliardenschwere Schadensersatzprozesse im Gange, und in Deutschland zeigt die Volksabstimmung in Bayern, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr der Allianz von Politik und Tabaklobby beugen will.
http://www.3sat.de/scobel.

Quelle: Nichtraucher-Info Nr. 80 – IV/10