Raucherentwöhnung auf Kosten der Beitragszahler ein Verstoß gegen Prinzipien der Solidargemeinschaft

Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zur „Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung“ nahm die NID zum Anlass für folgendes Schreiben an den Bundesminister Hermann Gröhe:

Sehr geehrter Herr Minister,

in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zur „Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung“ hat sich die Bundesregierung auf § 34 Absatz 1 Satz 7 und 8 SGB V berufen (BTag-Drs 18/279 vom 14.01.2014). Danach sind Arzneimittel, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht, von der Versorgung ausgeschlossen. Für die Nichtraucher-Initiative Deutschland e.V. (NID) stellt die Gesetzeslage ein getreues Abbild der Wirklichkeit dar:

1. Raucher sparen bei Rauchstopp tausende Euros.

Zur Realität gehört, dass Konsumenten von täglich 20 Zigaretten bei einem Rauchstopp mehr als 1800 € im Jahr sparen, bei zwei Zigarettenpackungen täglich sind es sogar über 3600 €. Starke Raucher können sich nach einem Rauchstopp in den folgenden zehn Jahren zwei VW Golf leisten.

2. Raucherentwöhnung auf Kosten der Beitragszahler Verstoß gegen Prinzipien der Solidargemeinschaft

Eine Finanzierung von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung durch die Krankenkassen würde einen Verstoß gegen grundlegende Prinzipien der Solidargemeinschaft darstellen. Dem Solidaritätsprinzip ist u.a. das Subsidiaritätsprinzip zur Seite gestellt. Dieses besagt, dass Krankheitskosten bis zu einem bestimmten Maß individuell zu tragen sind und die größere Solidargemeinschaft erst dann eintritt, wenn das Individuum oder die kleinere Gemeinschaft überfordert ist.

3. Nikotinpflaster um 30 Prozent billiger als Zigaretten

Das Subsidiaritätsprinzip findet sich unter anderem in Zuzahlungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, Zahnbehandlung, Zahnersatz oder Krankenhausbehandlung wieder. Ein Nikotinpflaster für einen Tag ist um 30 Prozent billiger als eine Schachtel Zigaretten. Selbst wenn ein Jahr lang jeden Tag ein Nikotinpflaster verwendet wird, spart ein Raucher noch über 500 €. Die Ersparnis erhöht sich bei Rauchern von zwei Schachteln Zigaretten am Tag und einem Jahr Nikotinpflaster auf über 2000 € im Jahr. Das reicht sogar für eine Verhaltenstherapie durch auf Tabakentwöhnung spezialisierte Ärzte und Psychologen.

4. Raucher sparen auch bei vergeblichem Versuch

Raucher, die ihren Konsum einstellen wollen, sind also in keinem Fall finanziell überfordert, wenn sie Arzneimittel selbst bezahlen müssen. Wenn es mit dem Rauchstopp nicht klappt, sparen sie bis zum erneuten Rauchbeginn in jedem Fall einen erheblichen Geldbetrag.

5. Raucher mehrheitlich gegen volle Kostenerstattung der Tabakentwöhnung

Dessen sind sich die Raucher auch bewusst: Nach einer Repräsentativbefragung der GfK Marktforschung vom August 2013 wollen 70% der Raucher die Kosten der Raucherentwöhnung allein (46,1%) oder zur Hälfte (23,4%) tragen; bei den Ex-Rauchern sind es sogar 85% (68,3% bzw. 16,5%). Nie-Raucher (68,3% bzw. 20,8%) und Ex-Raucher liegen nah beieinander.

6. Tabakentwöhner wollen nur leichter ans Geld kommen

Ärzteverbände und Verbände, deren Mitglieder Tabakentwöhnung auf verhaltenstherapeutischer oder anderer Basis anbieten, fordern in den letzten Jahren verstärkt die Bezahlung der Behandlung der Tabakabhängigkeit durch die Krankenkassen. Das haben jedoch sowohl die Krankenkassen als auch das Bundesministerium für Gesundheit u.a. unter Hinweis auf den oben geschilderten Sachverhalt abgelehnt.

7. Nur 5 Prozent nahmen beim erfolgreichen Rauchstopp ärztliche Hilfe in Anspruch

Wie sieht die Situation auf dem Raucherentwöhnungsmarkt tatsächlich aus? Antwort darauf geben repräsentative Studien: der Classic-Bus 2013 der GfK Marktforschung, der 11. Suchtsurvey 2012 und das Eurobarometer 2012.

Danach haben sich in Deutschland von den Ex-Rauchern

  • 80 Prozent das Rauchen ohne jegliche Unterstützung abgewöhnt,
  • 15 Prozent das Rauchen mit verschiedenen Hilfsmitteln, jedoch ohne ärztliche Unterstützung abgewöhnt,
  • 5 Prozent das Rauchen mit ärztlicher Unterstützung abgewöhnt.

8. Großbritannien abschreckendes Beispiel

Das Eurobarometer 2012 zeigt, dass Deutschland mit seinen Tabakentwöhnungsdaten im Durchschnitt aller EU-Mitgliedsländer liegt. Dagegen weicht Großbritannien stark vom Durchschnitt ab. Dort ist die ärztliche und verhaltenstherapeutische Behandlung der Tabakabhängigkeit 2001 kostenlos mit der Folge, dass sich erheblich mehr Ex-Raucher als in Deutschland an den Arzt gewandt (GB 8%, D 5%) und Medikamente eingenommen haben (GB 14%, D 6%). Ohne Unterstützung erfolgreich waren in Großbritannien 68%, in Deutschland 75%. Der Anteil der Ex-Raucher in der Gesamtbevölkerung war laut Eurobarometer in beiden Ländern mit 19% (2002) und 26% (2012) völlig identisch.

9. Nikotinersatzprodukte nutzlos

Wie ineffektiv Medikamente und Kurzberatung bei der Tabakentwöhnung sind, zeigt eine Bevölkerungsstudie aus Großbritannien mit 8932 Rauchern und 1403 Ex-Rauchern. Die Abstinenzraten waren 19,1% (n = 39) für Nutzer von Medikamenten auf Rezept in Kombination mit spezieller verhaltenstherapeutischer Unterstützung, 15,2% (n = 259) für die Benutzer von verschriebenen Medikamenten in Kombination mit kurzer Beratung, 10,2% (n = 322) für die Nutzer von Nikotinersatzprodukten, ge¬kauft über die Ladentheke, und 14,8% (n = 783) für diejenigen, die keine dieser Hilfsmittel verwendeten. Raucherentwöhnung ohne jegliche Unterstützung ist genauso erfolgreich wie kostenlose Kurzberatung einschließlich verschriebener Medikamente.

10. Zahl der Rauchstoppversuche unabhängig von der Entwöhnungsmethode

Die britische Studie zeigt zudem keinen signifikanten Unterschied in der Zahl der Versuche bei den vier Gruppen. Fast zwei Drittel der Ex-Raucher benötigten nur einen Versuch und rund ein Fünftel benötigte zwei Versuche. Jeweils 6 bis 8% der Ex-Raucher gaben an, im letzten Jahr drei oder mehr Versuche unternommen zu haben.

11. Ex-Raucher häufiger krank als Nie-Raucher

Aktuelle Raucher sind häufiger krank als Nie-Raucher (Mikrozensus 2009). Dass frühere Raucher jedoch noch häufiger krank sind als aktuelle Raucher und mehr Kosten als aktuelle Raucher verursachen, ist noch viel zu wenig bekannt (Helmholtz-Studie). Während erwerbstätige aktuelle Raucher um 32% häufiger krank sind als erwerbstätige Nie- Raucher, sind es bei den erwerbstätigen Ex-Rauchern 47%. Die jährlichen Gesamtkosten für aktuelle Raucher liegen um 24% (743 €) und die von früheren Rauchern um 35% (1108 €) höher als bei Nie-Rauchern. Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass ein erheblicher Teil der Raucher erst dann das Rauchen einstellt, wenn irreversible gesundheitliche Schäden eingetreten sind.

12. Senkung der Kosten nur durch Prävention

Wer die Kosten des Rauchens für das Gesundheitswesen verringern will, muss auf Prävention setzen, ebenso wie sich der Anteil der Raucher nicht durch Tabakentwöhnung senken, sondern nur durch Prävention senken lässt. Zu den wirksamsten Präventionsmaßnahmen gehören ein erschwerter Zugang zu Tabakwaren und ein konsequenter, lückenloser Nichtraucherschutz, was daran zu erkennen ist, dass sich der Anteil der Nie-Raucher bei den 16- bis 39-Jährigen zwischen 2007 und 2011 um fast 6 Prozentpunkte von 38,1% auf 43,9% erhöht hat. Bei der Altersgruppe der 16- bis 69-Jährigen stieg der Anteil der Nichtraucher von 36,3% auf 39,7% (GfK Marktforschung).

Ich bitte Sie, Herr Minister, die Initiative zur Beseitigung des Flickenteppichs beim Nichtraucherschutz zu ergreifen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Thomas Stüven
Präsident

Fachliche Beratung

Dr. med. Dietrich Loos, Kardiologe

Anfang 2012 wurden je nach Einwohnerzahl zwischen 500 (Malta) und 1552 (Deutschland) repräsentativ ausgewählte Personen im Rahmen des „Special Eurobarometer 385“ befragt, zusammen 26.751. Die wesentliche Erkenntnis lautet: Eine kostenlose Raucherentwöhnung liefert weder qualitativ noch quantitativ bessere Ergebnisse als eine Raucherentwöhnung, bei der die Raucher entweder an den Kosten beteiligt werden oder sie voll tragen. Großbritannien ist ein klassisches Beispiel dafür, wie die Kosten eines Gesundheitswesens aufgebläht werden können, ohne dass sich am Gesundheitszustand der Bevölkerung etwas ändert. Die meisten britischen Raucher sind sich bewusst, dass der Durchhaltewille entscheidend ist und sie verzichten deshalb auf staatliche Unterstützung beim Rauchstopp.

Quelle: Nichtraucher-Info Nr. 94 – II/2014