Rauchen und Nichtrauchen im Drei-Stunden-Takt

Das Landgericht Dortmund fällte am 8. Juni 2017 unter Aktenzeichen 1 S 451/15 eine Entscheidung zum Rauchen auf der Terrasse eines Reihenhauses. Da sowohl die nichtrauchenden Kläger als auch die rauchenden Beklagten annähernd gleiche Zeiten für die Wahrnehmung ihrer Bedürfnisse vorschlugen, entschied das Gericht salomonisch – es teilte die 24 Stunden des Tages in acht Abschnitte: „Die Beklagten werden verurteilt, es jeweils unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle von bis zu insgesamt 2 Jahren, zu unterlassen, im rückseitigen Garten einschließlich der Terrasse auf ihrem Grundstück H-Straße, E 1 zu folgenden Zeiten zu rauchen: 00:00 Uhr bis 03:00 Uhr, 06:00 bis 09:00 Uhr, 12:00 Uhr bis 15:00 Uhr, 21:00 Uhr bis 24:00 Uhr.“

In der ersten Instanz waren die Kläger noch gescheitert, weil die Amtsrichterin gemeint hat, dass ihre Wahrnehmungen beim Ortstermin am 9. September 2015 so auch für alle anderen Tage im Jahr ausfallen würden. Dementsprechend fiel auch ihr Urteil aus: Die Klage der Nichtraucher wurde abgewiesen.

Daraufhin wandten sich die Kläger an die Nichtraucher-Initiative Deutschland. Die NID verwies in ihrer Antwort nicht nur auf ihren Leitfaden zum Nichtraucherschutz bei rauchenden Nachbarn, sondern nahm auch mehrmals umfangreich Stellung zu den vom gegnerischen Anwalt vorgebrachten Behauptungen, die allesamt entkräftet werden konnten – nicht mit Gegenbehauptungen, sondern mit sachlichen Informationen zum Beispiel über die Unterschiede zwischen Grillen, Küchenluft, Kochdämpfen, Waschhausemissionen und Rauchen. Hier einige Auszüge aus der Stellungnahme der NID:

Meteorologe vom Netzwerk Rauchen

Die vom Beklagtenanwalt zitierte Stelle aus der „Wetterauskunft und Kurzexpertise des Meteorologen Jürgen Vollmer“ im Schreiben vom 08.11.2015 sagt überhaupt nichts aus über die Situation in der Greveler Str. x und insbesondere nichts über die Situation beim Ortstermin am 09.09.2015. „Hauptwindrichtung West“ zum Beispiel bedeutet lediglich, dass der Wind an der Mehrheit der Tage im Jahr (z.B. 20%) aus West (270 Grad) weht. An 80% der Tage weht er jedoch nicht aus West, sondern in unterschiedlichen Anteilen aus allen anderen Richtungen.

Warum Jürgen Vollmer zitiert wird, ist sicher darin zu sehen, dass der Zitierte einige Zeit lang stellvertretender Bundesvorsitzender des Netzwerk Rauchen – Forces Germany e.V. war – ein Verein, der sich gegen die Einschränkung des Rauchens wendet. Jürgen Vollmer ist gegenwärtig Administrator verschiedener Internetforen des Netzwerks Rauchen. Charakterisierende Äußerungen von Jürgen Vollmer sind unter https://raucherdossiers.wordpress.com/2019/03/03/da-braucht-juergen-vollmer-wohl-eine-augenbinde/ zu finden.

Windmessungen von neutraler Seite

Die Messwerte der Wetterstation von Marc Heubes im Stadtbezirk Aplerbeck im Dortmunder Süd-Osten zeigen für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis 1. Februar 2016 für Dortmund als Hauptwindrichtungen Nordost (45 Grad) bis West (270 Grad) an. Die durchschnittliche Windrichtung ist Südwest 219 Grad, die durchschnittliche Windgeschwindigkeit beträgt 8 km/h (https://wetter.heubes. de/). Ähnliche Werte zeigt der Windfinder als Durchschnitt für die Jahre 2000 bis 2015 aufgrund von Messungen zwischen 7 und 19 Uhr (http://de.windfinder.com/windstatistics/dortmund).

Strömungshindernisse

Allerdings sind das Daten von Messstationen, die (für den Wind) frei zugänglich sind, d.h. dass keine Hindernisse in der nahen Umgebung die Daten beeinflussen können. Im vorliegenden Fall ist das völlig anders. Durch die westlich gelegene Bäckerei, das südwestlich gelegene Gebäude und die südlich gelegenen Bäume wird der vorherrschend südwestliche Wind abgelenkt und verwirbelt. Eine tragbare Aussage darüber, aus welcher Richtung der Wind an die Reihenhäuser strömt, ist ohne Windmessungen nicht möglich.

Verhältnisse beim Ortstermin

Im Urteil des Amtsgerichts heißt es: „Zum Zeitpunkt der Inaugenscheinnahme herrschte allenfalls leichter Wind aus östlicher Richtung.“ Das bedeutet, dass der Wind an diesem Tag nicht aus der Hauptwindrichtung West (bzw. Südwest) gekommen ist, sondern aus der entgegengesetzten Richtung. Es wäre damit erst recht erforderlich gewesen zu klären, welchen Einfluss die östliche Windrichtung auf Luftströmungen an der Leeseite des Gebäudes unter Berücksichtigung von Hindernissen hat, die für Luftwirbel und Windablenkung sorgen können: Bäume und Baumreihen, Büsche und Buschreihen, gegenüberliegende und seitlich liegende Gebäude usw. Um die Luftströmungen auch nur einigermaßen gut abschätzen zu können, müssten mindestens Windfahnen an verschiedenen Stellen angebracht werden, um die unsichtbare Luft für das Auge einigermaßen erkennbar zu machen. Aus diesem Grund befinden sich an Start- und Landeplätzen für Gleitschirm- und Drachenflieger entweder die kleineren Windfahnen oder die größeren Windsäcke. Mit letzteren sind auch Flugplätze und Flughäfen ausgestattet, um die aktuelle Windrichtung anzuzeigen.

Wahrscheinlichkeiten

Wenn es bei einem Münzwurf zwei Möglichkeiten gibt, ist es ein logischer Fehlschluss zu glauben, dass die Münze beim nächsten Mal auf die andere Seite fällt. Ein zufälliges Ereignis wird nicht wahrscheinlicher, wenn es längere Zeit nicht eingetreten ist, oder unwahrscheinlicher, wenn es kürzlich oder gehäuft eingetreten ist. Es ist ein Fehlschluss der Richterin zu glauben, aus der Beobachtung einer bestimmten Situation an einem bestimmten Tag schließen zu können, dass weitere Beobachtungen an anderen Tagen zum selben Ergebnis führen würden, obwohl ihr bekannt ist, dass an anderen Tagen andere Bedingungen herrschen. Mit der Problematik dieser Art von „Ortstermin“ hat sich der BGH nicht auseinandergesetzt bzw. auseinandersetzen müssen, weil keine Partei dieses Thema angesprochen hat. Vielmehr hat der BGH das Vorgehen bei Lärmbelästigungen einfach auf die Tabakrauchbelästigung übertragen – offensichtlich ohne sich der Unterschiede bewusst zu sein.

Verhalten von Tabakrauch

Da Tabakrauch in der Regel wärmer ist als die umgebende Luft, steigt er bei Windstille (in ruhender Luft) nach oben (vertikale Komponente). Da die Luft jedoch fast immer in Bewegung ist, kommt noch eine seitliche (horizontale) Komponente hinzu. Im Gesamtergebnis verlagert sich der Tabakrauch in verschiedenen Graden diagonal nach oben. Daher sagen Messungen in Höhe der Raucherzeugung bei Entfernungen von mehr als zwei Metern nichts aus über die tatsächliche Belastung direkt oder schräg oberhalb der Tabakrauchquelle. Wenn der Wind vom Beobachter aus in Richtung Raucherzeuger weht, bekommt der Beobachter überhaupt nichts vom Tabakrauch mit.

Feinstaubpartikel in Wohnungen und im Straßenverkehr

Für die gesundheitliche Belastung durch Feinstaubpartikel in Wohnräumen und auf den Straßen kommen, sofern keine Tabakrauchbelastung vorliegt, vor allem Partikel ab der Größe 10 Mikrometer infrage. Diese Partikel entstehen vor allem durch Bewegung (Gehen über Teppichen und Parkettfußböden, Zerreißen von Papier, Anziehen von Kleidern, Aufwirbeln von Reifenabrieb und Straßenstaub). Die Partikel sind toxisch aufgrund ihrer Größe.

Tabakrauch hingegen besteht nicht nur überwiegend aus lungengängigen Partikeln der Größe 2,5 Mikrometer und kleiner, sondern vor allem aus Feinstaubpartikeln mit spezifischer Toxizität. Die spezifische Toxizität des Tabakrauchs beruht auf der toxischen Wirkung vieler Inhaltsstoffe des Tabakrauchs (Ammoniak, Arsen, Benzol, Blausäure, Cadmium, Formaldehyd etc.).

Verdünnung durch Diffusion

Niemand hat behauptet, dass Tabakrauch „dauerhaft in Schwadenform fortbestünde“. Auch Tabakrauch löst sich irgendwann durch Diffusion auf. Was bedeutet das? Diffusion ist ein physikalischer Prozess, der mit der Zeit (theoretisch ein unendlich lange dauernder Vorgang) zur vollständigen Durchmischung zweier oder mehrerer Stoffe durch die gleichmäßige Verteilung der beteiligten Teilchen führt. Die Diffusion führt dazu, dass sich die tabakrauchhaltige Luft verdünnt und gleichzeitig die angrenzende zuvor tabakrauchfreie Luft tabakrauchhaltig wird. Daraus folgt, dass Tabakrauch auch dann noch vorhanden ist, wenn er für das menschliche Auge unsichtbar ist. Als Nachweisverfahren hat sich laut Deutschem Krebsforschungszentrum die Messung der Feinstaubpartikel mit einem Durchmesser unter 2,5 Mikrometern (PM2,5) in der Umgebungsluft etabliert. Ein dafür geeignetes Feinstaubmessgerät kostet bei GRIMM Aerosol Technik 15.000 Euro und mehr.

Dass Tabakrauch auch noch in einigen Metern von der Rauchquelle entfernt zu sehen ist, zeigt der Film „Tabakrauch im Freien“, den die NID Ende 2015 vom Kamerateam PLAN-BILD drehen ließ: https://www.youtube.com/watch?v=sYwcPiZDdYA.

Eine systematische Übersichtsarbeit (Review) spanischer Wissenschaftler kommt nach Durchsicht von 18 Studien zu dem Ergebnis, dass die Tabakrauchbelastung im Freien von der Anzahl der Raucher, der Windstärke, der Nähe zu den Rauchern und der Beschaffenheit des Außenbereichs, die eine Akkumulation des Tabakrauchs ermöglicht, abhängt. Die durchschnittliche Belastung im Außenbereich von Gaststätten liegt demnach bei 8,32 bis 124 μg/m3, wenn Raucher anwesend sind. In anderen Bereichen (z.B. Straßen, Parks, Eingangsbereiche von Gebäuden, Campus von Universitäten) wurden Werte von 4,60 bis 17,80 μg/m3 gemessen. (Sureda X, Fernández E, López MJ, Nebot M (2013) Secondhand tobacco smoke exposure in open and semi-open settings: a systematic review. Environ Health Perspect 121: 766–773; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23651671/)

Der Anwalt der Kläger hat einen erheblichen Teil der NID-Stellungnahmen in seine Berufungsschrift übernommen. Das Landgericht verzichtete auf einen eigenen Ortstermin mit der Begründung, dass ein solcher ebenso wie der Ortstermin des Amtsgerichts „an der Einzelfallbezogenheit leiden“ würde, „den die Kläger zu Recht monieren“.

Ernst-Günther Krause

Quelle: Nichtraucher-Info Nr. 107 – III/2017