Schockbilder vom Narkosefacharzt

Am 20. Mai 2016 trat das Tabakerzeugnisgesetz in Kraft. Den Termin hatte die EU ihren Mitgliedstaaten als letzte Frist für die Umsetzung der Tabakprodukt-Richtlinie gesetzt. Umsetzung bedeutet jedoch nicht, dass alle Regelungen sofort wirksam sind. Für einige sieht das – deutsche – Gesetz längere Übergangszeiten zum Teil bis zum 20. Mai 2024 vor. Das Verbot für Außenwerbung (Plakatwände etc.) tritt zum Beispiel erst am 1. Juli 2020 in Kraft. Bis zum 20. Mai 2017 können Zigarettenpackungen, die vor dem 20. Mai 2016 hergestellt wurden, noch ohne Schockbilder verkauft werden. Aus diesem Grund haben die Tabakfirmen ihre Produktionskapazitäten in den letzten Quartalen voll ausgeschöpft und ihre Lager gefüllt. Es dauert also noch einige Zeit, bis die ersten Zigarettenpackungen mit den kombinierten Text- und Bild-Warnhinweisen über die Ladentheke oder Automaten in die Hände der Konsumenten gelangen

Bereits vor mehr als 40 Jahren hat der Narkosefacharzt Dr. Erhard Busch die ersten Schockbilder angefertigt. Für das unten abgebildete Foto sammelte er die in seinem Krankenhaus in Aschern liegenden Zigarettenkippen und füllte damit den Müllereimer. Danach brauchte er nur noch zu warten, bis Operationspläne die Amputation von Raucherbeinen ankündigten. Nach der OP machte er von den abgetrennten Beinen verschiedene Aufnahmen.

Bericht im Bayerischen Fernsehen

Das Bayerische Fernsehen "ehrte" die Aktivitäten von Dr. Erhard Busch am 19. Mai 2016 mit einem fünfminütigen Bericht im wöchentlichen Magazin quer, das immer am Donnerstag um 20:15 Uhr über die Bildschirme flimmert und vom Kabarettisten Christoph Süß moderiert wird. Der Beitrag enthielt auch einen Ausschnitt aus dem Interview, das der Fernsehsender im Jahr 1976 mit Erhard Busch führte – zu einer Zeit also, in der geraucht wurde, was das Zeug hält. Das Bild oben zeigt den Arzt mit seinem "Schockfoto" aus den 1970er Jahren.

Das Foto mit dem Mülleimer in der Ecke stellte er 1978 der Klasse 11c des Gymnasiums Weilheim in Oberbayern zur Verwendung in einer "Nicht-Raucher-Zeitung" zur Verfügung. Die Schüler versahen das Foto nur noch mit „Wohin?“ und den jährlichen Amputationszahlen.

Verurteilung wegen Diebstahl und Sachbeschädigung

Was Erhard Busch damals sehr stark bewegte, war die Unverfrorenheit, mit der die Tabakindustrie Werbung für ihre gesundheitsschädlichen Produkte machte. So kam er auf den Gedanken, die Tabakwerbung zu verfremden. Er versah Werbeplakate mit Informationen, was als Sachbeschädigung ausgelegt wurde. Manche Plakate entfernte er von den Plakatwänden, um sie bearbeiten und vom Ergebnis Fotos zur Vervielfältigung u.a. auf Postkarten machen zu können. Er hinterließ immer seinen vollständigen Namen.

Dass das sowohl der Tabakindustrie als auch den Inhabern der Werbeträger gegen den Strich gehen musste, ist nachvollziehbar. Und so dauerte es nicht lange, bis sie Erhard Busch verklagten. Das Gericht verhängte eine Geldstrafe wegen Sachbeschädigung und Diebstahl. Doch Erhard Busch wollte keinen Pfennig zahlen. Er kündigte seinen Arbeitsvertrag und räumte seine Konten ab, damit der Betrag nicht gepfändet werden konnte. Die Folge: Die Geldstrafe wurde in eine Freiheitsstrafe von zusammen rund vier Wochen umgewandelt. Als Erhard Busch an der Gefängnistür klingelte, war auch das Bayerische Fernsehen mit dabei.

Beim Marlboro-Poker verlor Philip Morris auf ganzer Linie

Die Aktivitäten von Dr. Erhard Busch hatten unvorhergesehene Wirkungen für den weltweit größten Tabakkonzern Philip Morris. Angefangen hatte die Geschichte im Oktober 1980 in Heidelberg am Neckar. Der dortige Nichtraucher-Verein brachte einen Kalender heraus, in dem die Werbung für fünf führende Zigarettenmarken nach dem "Busch-Vorbild" verfremdet wurde. Aus "Lord extra" wurde "Mord extra", aus "Camel-Filter" wurde "Esel-Filter", aus "Ernte 23" wurde "Rente mit 23", aus "Roth-Händle" wurde "Tod-Händle" und aus dem "Großen Marlboro-Poker" wurde ein "Großes Mordoro-Poker" mit den Preisen "Magengeschwür, Herzinfarkt und Lungenkrebs". Dies wollten die fünf betroffenen Zigarettenkonzerne nicht hinnehmen und drohten den Gang vors Gericht an. Angesichts eines Gesamtstreitwerts von 500.000 Mark stellte der Heidelberger Verein den Vertrieb des Kalenders ein.

Einzig Philip Morris mit Geschäftssitz in München ging gegen den Weiterver¬breiter des Kalenders, die Nichtraucher-Initiative München (NIM), vor und strengte, nachdem der Verein nicht bereit war, den Vertrieb einzustellen, ein Verfahren der Einstweiligen Verfügung an. Einen Tag vor der vom Gericht unüblicherweise festgesetzten mündlichen Verhandlung zog der Tabakkonzern allerdings überraschend seine Klage zurück. Wahrscheinlich fürchtete er sich vor negativer Presse, denn die NIM hatte sich an die Medien gewandt und dies als Vorgehen des "Goliaths" Philip Morris mit jährlich 2 Milliarden Mark Umsatz gegen den "David" NIM mit 20.000 Mark Einnahmen im Jahr in Form von Beiträgen und Spenden bezeichnet.

Da nun ungeklärt blieb, ob diese Art der Werbeverfremdung Rechtens ist, drehte nun der Verein den Spieß um. Er verlangte von Philip Morris die schriftliche Erklärung, künftig nichts gegen den Vertrieb des Kalenders zu unternehmen, wozu der Marlboro-Hersteller nicht bereit war. Daraufhin erhob die NIM eine sogenannte "negative Feststellungsklage" mit einem Streitwert von 50.000 Mark. Die Richter beim Landgericht München hatten zwar inhaltlich nichts gegen die Werbeverfremdung einzuwenden, sprachen dem Verein aber das Recht zur Klage ab. Gegen dieses Urteil ging die NIM in die Berufung. Und siehe da, das Münchner Oberlandesgericht gab ihr in allen Streitpunkten Recht. Damit war nun allerdings Philip Morris nicht einverstanden und legte Revision ein. Der Bundesgerichtshof bestätigte jedoch am 17. April 1984 das OLG-Urteil. Der Marlboro-Produzent musste sich geschlagen geben und die Anwalts- und Gerichtskosten in Höhe von rund 30.000 Mark tragen (Az VI ZR 246/82). Es ist davon auszugehen, dass die Honorare der Anwälte von Philip Morris weit über den Beträgen liegen, die die Gebührenordnung für Anwälte vorsehen.

Leitsatz des BGH: Die Verwendung einer als „Anti-Werbung“ satirisch verfremdeten Zigarettenreklame in einem Nichtraucherkalender zur Warnung vor den Gesundheitsgefahren des Rauchens und zur Kritik an der Zigarettenwerbung verletzt die Rechte des betroffenen Zigarettenherstellers grundsätzlich nicht.

Wer im Internet mit den Begriffen "Mordoro Poker" auf Suche geht, stößt auf zahlreiche Veröffentlichungen. Immer wieder wird der Fall zum Gegenstand juristischer Ausbildung und Fragestellungen. Der Urteilstext ist z.B. unter https://www.jurion.de/Urteile/BGH/1984-04-17/VI-ZR-246_82 zu finden.

Auszug aus dem BGH-Urteil:

Zutreffend geht das Berufungsgericht (OLG) davon aus, dass der Kläger für eine Kritik am Zigarettenkonsum, den er mit der Herausgabe von Nichtraucher-Kalendern bekämpfen will, das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) in Anspruch nehmen kann. Die öffentliche Auseinandersetzung mit den Gesundheitsgefahren des Rauchens liegt im Allgemeininteresse. Aktionen, die – wie hier – derartige Gefahren bewusstmachen sollen, muss die Tabakindustrie auch dann hinnehmen, wenn ihr die negative Seite des Rauchens allzu einseitig herausgestellt erscheint und sie deshalb Absatzeinbußen befürchten muss. Art. 5 Abs. 1 GG erlaubt dem Kritiker, seinen Standpunkt in dieser Frage überpointiert zur Geltung zu bringen; er ist nicht auf eine ausgewogene oder gar schonende Darstellung beschränkt. Die besonderen Schranken, denen die Aufklärung der Verbraucher über die Güte von Konsumgütern insbesondere durch vergleichende Warentests unterliegt, gelten für Aufklärungskampagnen, wie sie hier infrage stehen, nicht.