Schutz vor Passivrauchen auch in der JVA

Das Bundesverfassungsgericht erklärt die mehrtägige Unterbringung eines Nichtrauchers mit starken Rauchern in der Justizvollzugsanstalt zu einem Grundrechtseingriff.

Ein Nichtraucher (Beschwerdeführer) wurde im Februar 2010 als Untersuchungsgefangener in der Justizvollzugsanstalt Stralsund in einem Drei-Personen-Haftraum gemeinsam mit zwei rauchenden Mitgefangenen untergebracht. Erst vier Tage später wurden die beiden rauchenden Gefangenen in einen anderen Haftraum verlegt.

Im November beantragte der Nichtraucher beim Landgericht Stralsund die Feststellung, dass die „Zulassung der Zufügung von körperlichen Schmerzen durch gesundheitsgefährdende Stoffe“ rechtswidrig gewesen sei. Die beiden Mitgefangenen hätten stark geraucht, sogar mehrmals während der Nacht. Aufgrund des Rauches habe er bereits nach der ersten Nacht starke Kopfschmerzen bekommen, die trotz Schmerztabletten angehalten hätten. Auf seinen Hinweis, dass die Zustände im Haftraum für ihn unhaltbar seien, sei zunächst nichts unternommen worden. Er sei genötigt worden, gesundheitsgefährdende Stoffe zu inhalieren, wodurch ihm körperliche Schmerzen zugefügt worden seien. Eine Zustimmung zu einer gemeinsamen Unterbringung habe er nicht erteilt.

Zu dem Antrag nahm die Justizvollzugsanstalt Stellung. Nach Hinweisen der Polizei sei von der Gefahr der Selbsttötung oder -verletzung ausgegangen worden, so dass zum Schutz des Beschwerdeführers eine Unterbringung in Gemeinschaft sowie Kontrollen verfügt worden seien. Die kurzzeitige Unterbringung auf einem Haftraum mit Rauchern sei in der zeitweiligen Belegungssituation der Justizvollzugsanstalt begründet gewesen. Die Notwendigkeit der Gemeinschaftsunterbringung sei vom psychologischen Fachdienst bis zum 7. April 2010 aufrechterhalten worden; seitdem sei der Beschwerdeführer allein untergebracht.

Das Landgericht Stralsund wies den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurück. Der Antrag sei, soweit die Feststellung der Rechtswidrigkeit der gemeinsamen Unterbringung mit Rauchern begehrt werde, unbegründet. Zwar seien die Untersuchungsgefangenen gemäß § 13 Abs. 1 UVollzG (Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft) während der Ruhezeiten grundsätzlich getrennt und nur mit ihrer Zustimmung gemeinsam unterzubringen. Ihre Zustimmung sei aber bei Gefahr für Leib oder Leben entbehrlich. Bei dem Beschwerdeführer sei vom psychologischen Fachdienst die Gefahr der Selbsttötung oder Selbstverletzung erkannt worden. Dies habe eine Gemeinschaftsunterbringung notwendig gemacht. Die Aufteilung der Belegung der einzelnen Zelle obliege der Justizvollzugsanstalt in eigener Zuständigkeit. Dabei habe sie zwar grundsätzlich im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten darauf zu achten, dass ein Nichtraucher nicht in einen Haftraum mit Rauchern gelegt werde. Sollte dies aufgrund der jeweiligen Belegungssituation aber nicht sofort zu realisieren sein, so müsse die Möglichkeit einer kurzfristigen anderweitigen Unterbringung bestehen.

Gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein. Weder ein Hinweis der Polizei zu einer Selbsttötungs- oder -verletzungsgefahr noch die von der Justizvollzugsanstalt nicht belegte Belegungssituation rechtfertigten einen Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit und die Gefährdung und Schädigung seiner Gesundheit. Wenn die Justizvollzugsanstalt den Hinweis der Polizei, die zur Stellung einer solchen Diagnose weder kompetent noch qualifiziert sei, ernst genommen hätte, wäre es ihre Pflicht gewesen, ihn einem Arzt vorzustellen. Hierauf habe die Justizvollzugsanstalt aber verzichtet; dem psychologischen Fachdienst sei er erst nach zwei Tagen vorgestellt worden. Einen weiteren Tag später sei er einem Arzt zur Aufnahmeuntersuchung vorgestellt worden. Dieser habe die angeblichen Selbsttötungs- oder -verletzungsabsichten sofort verneint. § 52 Abs. 2 UVollzG bestimme, dass, wenn der seelische Zustand eines Untersuchungsgefangenen Anlass zu einer Sicherungsmaßnahme gebe, vorher eine ärztliche Stellungnahme einzuholen sei. Zur Belegungssituation habe die Justizvollzugsanstalt nur unzureichend und ohne Beleg vorgetragen. Die später erfolgte Zusammenlegung mit einem anderen, nicht rauchenden Untersuchungsgefangenen hätte auch sofort, nicht erst nach vier Tagen, erfolgen können. Es sei unklar, wie die Justizvollzugsanstalt zu ihrer Aussage komme, die Belegungssituation habe die Form der Unterbringung erfordert.

Das Oberlandesgericht Rostock verwarf die Beschwerde „aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses“ als unbegründet.

Entscheidungsgründe

Das Bundesverfassungsgericht hob am 28. Oktober 2012 unter Aktenzeichen 2 BvR 737/11 die Beschlüsse des Landgerichts Stralsund und des Oberlandesgerichts Rostock auf, weil sie den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verletzen. Zur Entscheidung hat die Online-Zeitschrift HRRS fünf Leitsätze formuliert (www.hrr-strafrecht.de):

1. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Maßnahme im Vollzug der Untersuchungshaft besteht nach dem Übergang des Betroffenen in die Strafhaft oder der Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt insbesondere dann fort, wenn es sich bei der Maßnahme um einen gewichtigen Grundrechtseingriff handelt. Dies ist anzunehmen, wenn der Untersuchungsgefangene als Nichtraucher ohne seine Zustimmung über mehrere Tage mit zwei stark rauchenden Mitgefangenen in einem Haftraum untergebracht wird.

2. Das in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit schützt Gefangene vor den zumindest nicht ausschließbaren gesundheitlichen Gefahren des Passivrauchens und damit vor erheblicher Belästigung durch das Rauchen von Mitgefangenen oder Justizbediensteten. Die mehrtägige gemeinsame Unterbringung eines Nichtrauchers mit starken Rauchern stellt einen Eingriff in dieses Grundrecht dar.

3. Eine ausreichende Rechtsgrundlage für einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG liegt nicht in einer Vorschrift über den Vollzug der Straf- oder Untersuchungshaft (hier: § 13 UVollzG Abs. 1 Satz 3 M-V), die eine gemeinsame Unterbringung von Gefangenen auch gegen deren Willen erlaubt, um einer Gefahr für Leben oder Gesundheit oder der Hilfsbedürftigkeit eines Gefangenen zu begegnen.

4. Bei der Anwendung einer Eingriffsnorm ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Dies erfordert es, dass das Gericht seine Entscheidung auf der Grundlage eines zureichend aufgeklärten Sachverhalts trifft. Dabei hat es die von der Justizvollzugsanstalt vorgetragenen Tatsachen eigenverantwortlich zu überprüfen.

5. Beim Vollzug der Untersuchungshaft ist das Gericht in besonderem Maße gehalten, Angaben der Justizvollzugsanstalt nachzuprüfen, die sich auf eine mangelnde Ausstattung der Anstalt beziehen.

Quelle: Nichtraucher-Info Nr. 91 – III/2013