Tabakrauch ins Gesicht blasen ist Körperverletzung

Ein Raucher blies einer 25-jährigen Studentin absichtlich Tabakrauch ins Gesicht. Diese warf daraufhin mit einem Glas nach ihm, was eine kleine Gesichtsverletzung zur Folge hatte. Dies hielt der Raucher für eine Straftat und zeigte die Studentin an. Am 18. September 2013 verhandelte das Amtsgericht Erfurt das Geschehen als „Strafsache wegen gefährlicher Körperverletzung“. Es entschied jedoch anders als es der Raucher erwartet hatte. Im Glaswurf sah das Amtsgericht Erfurt eine gerechtfertigte Notwehr und sprach die 25-Jährige am selben Tag unter Aktenzeichen 910 Js 1195/13 48 Ds frei. Gleichzeitig wertete es das Tabakrauch-ins-Gesicht-blasen als Körperverletzung. Auszüge aus dem Urteil:

Sachverhalt

„In der Nacht vom 09.06. auf den 10.06.2012 war die Angeklagte K. in der Diskothek ‚Cosmopolar‘ am Anger in Erfurt. Als Studentin jobbte sie gelegentlich in dieser Diskothek, jedoch war sie in der besagten Nacht lediglich als Gast in der Diskothek anwesend. Als sie mitbekam, dass der Zeuge T. sowie dessen Begleiter, der Zeuge M., mehrfach gegen das in der Diskothek bestehende Rauchverbot verstießen, forderte sie die beiden auf das Rauchen einzustellen oder draußen weiter zu rauchen. Die beiden Zeugen ignorierten diese Aufforderung. Nachdem die Angeklagte die Security informiert hatte, diese jedoch in dem Moment nicht einschreiten konnte oder wollte, begab sich die Angeklagte zurück auf die Tanzfläche.

Kurze Zeit später erschien dort auch der Zeuge T. Nachdem sie ihn erneut aufgefordert hatte das Rauchen einzustellen, kam dieser aggressiv auf die Angeklagte zu, blies ihr aus einer Entfernung von unter einem Meter den Zigarettenqualm mit spürbar feuchter, d.h. mit Spuckepartikeln versetzter Atemluft ins Gesicht und fragte sie, was sie denn jetzt machen wolle. Durch dieses Anpusten wurden die Schleimhäute der Angeklagten merkbar gereizt. Zur Verhinderung weiterer ‚Rauchangriffe‘ und um auch nicht weiter mit Spuckepartikeln ‚angepustet‘ zu werden, warf die Angeklagte ein Glas, welches sie während der gesamten Zeit in der Hand gehalten hatte, in Richtung des angetrunkenen Zeugen T. Das Glas traf den Zeugen oberhalb der rechten Augenbraue. Der Zeuge erlitt hierdurch eine Prellung sowie eine Beule, die circa zwei Tage sichtbar war.“

Begründung des Freispruchs

„Die Angeklagte war aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

1. Die Angeklagte hat durch den Wurf des Glases in das Gesicht des Zeugen und der dadurch verursachten Beule auf der Stirn vorsätzlich den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht.

2. Sie handelte jedoch nicht rechtswidrig, weil die Tat durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt war. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich abzuwenden, § 32 Abs. 2 StGB. Ist die zur Aburteilung anstehende Tat durch Notwehr geboten, so ist sie nicht rechtswidrig im Sinne des § 32 Abs. 1 StGB.

Das provozierende Anrauchen mit zuvor bereits inhaliertem und damit mit Atemluft und Speichelnebel vermengtem Zigarettenrauch gegen das Gesicht der Angeklagten stellte einen rechtswidrigen Angriff nicht nur gegen die Ehre, sondern auch gegen die körperliche Unversehrtheit der Angeklagten dar. Das Anblasen mit Zigarettenrauch und Spuckeanteilen gegen das Gesicht ist über die Grenze hinzunehmender Bagatellen hinaus geeignet, das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit zu beeinträchtigen. Die Gesundheitsbeeinträchtigung resultiert dabei sowohl aus den karzinogenen Anteilen des Zigarettenrauches als auch aus den potentiellen Viren und Bakterien der Körperflüssigkeit ‚Spucke‘ (siehe zum Ganzen auch Landgericht Bonn, Urteil vom 09.12.2011 – 25 Ns 555 Js 131/09 – 148/11). Das Anblasen aus nächster Nähe mit Zigarettenrauch stellte somit eine Körperverletzung dar.

Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Anpusten auch beleidigenden Charakter hat.

Der ‚Rauchangriff‘ durch den Zeugen war zum Zeitpunkt der Tat auch noch gegenwärtig, denn das Anrauchen dauerte noch an, als die Angeklagte zum Glaswurf ansetzte. Darüber hinaus war jederzeit mit einem zweiten Anpusten zu rechnen. Die Angeklagte besaß auch den erforderlichen Verteidigungswillen. Der Glas¬wurf diente einzig und allein dazu, ein weiteres Anpusten mit Rauch und sonstige Angriffe endgültig zu unterbinden.

Der Wurf des Glases war in der konkreten Situation zur erfolgreichen und dauerhaften Abwehr des vorliegenden Angriffes mit Zigarettenrauch tatsächlich erforderlich im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB. Er war geeignete Gegenmaßnahme. Geeignet ist eine Abwehrhandlung immer dann, wenn mit ihr der Angriff sofort beendet und die durch den Angriff entstandene Gefahr endgültig abgewendet werden konnte. Der Wurf des Glases an den Kopf des Zeugen, damit dieser die Angeklagte nicht weiter mit Rauch anblasen konnte beendete das Anpusten des Zeugen sofort und unmittelbar und beseitigte damit die körperliche Beeinträchtigung der Angeklagten endgültig. Der Zeuge war danach nicht mehr in der Lage, weitere Körperverletzungshandlungen durch Anpusten zu begehen.

Es war in rechtlicher Hinsicht auch geboten. Geboten ist eine Rettungshandlung dann, wenn sie – bei einer objektiven Ex-ante-Beurteilung – das relativ mildeste Mittel darstellt, d.h. es dürfen objektiv keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung gestanden haben, welche genauso effektiv und ebenso wirksam den Angriff hätten beenden und die Gefahr beseitigen können (Fischer, StGB, 59. Auflage, § 32 RZ 30 m.w.N.). Dabei findet jedoch eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter grundsätzlich nicht statt (vgl. Fischer, a.a.O. RZ 31 m.w.N.), was vorliegend aber der Annahme eines Notwehrrechts sowieso nicht entgegenstehen würde, da hier das angegriffene Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit der Angeklagten dem gleichen Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit des Zeugen gegenübersteht. Ein in diesem Sinne milderes, aber gleich effektives Mittel stand der Angeklagten in der konkreten Situation nicht zur Verfügung. Dabei war auch auf den Größenunterschied der 1,68 m großen Angeklagten zu dem deutlich größeren Zeugen abzustellen.

Ein demütigendes Zurückweichen ist der Angegriffenen grundsätzlich nicht zuzumuten (vgl. Fischer, a.a.O. RZ 33 m.w.N.).

Nach alledem war festzustellen, dass das Anblasen mit dem Rauch eine Körperverletzung darstellte, gegen die sich die Angeklagte mittels Glaswurf wehren durfte, um weitere Angriffe zu unterbinden. Sie handelte demnach nicht rechtswidrig und war daher aus rechtlichen Gründen freizusprechen.“

Das Amtsgericht Erfurt hat deshalb in der Strafsache wegen gefährlicher Körperverletzung für Recht erkannt:

1. Die Angeklagte wird freigesprochen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse.

Am Rande erwähnt

Die Studentin hatte den Raucher nicht angezeigt, obwohl er sie nach dem Glaswurf noch gewürgt hatte. Auch der Staatsanwalt hatte einen Freispruch beantragt, weil das Anblasen mit dem Rauch eine herabwürdigende Handlung und Beleidigung sei, die Notwehr rechtfertigt. Der Strafrichter ging noch weiter und wertete das Verhalten des Rauchers als Körperverletzung.

Notwehr mit Bierglas in der Rechtsprechung

Das Oberlandesgericht Hamm entschied am 15.07.2013 unter Aktenzeichen 1 RVs 38/13 einen Fall, in dem es nach verbalen Auseinandersetzungen zu einer Gewalttätigkeit kam, die durch einen Schlag mit dem Bierglas beendet wurde. Der Getroffene erlitt eine Platzwunde, die genäht werden musste, sowie ein Hämatom und eine Gehirnerschütterung. Leitsatz des Urteils:

Ob die Verteidigungshandlung i.S.d. § 32 StGB erforderlich ist, hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Dabei darf sich der Angegriffene grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Das schließt auch den Einsatz lebensgefährlicher Mittel (im konkreten Fall: Schlag mit einem Bierglas gegen den Kopf) ein. Zwar kann dieser nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf auch nur das letzte Mittel der Verteidigung sein; doch ist der Angegriffene nicht genötigt, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang braucht er sich nicht einzulassen. Bei mehreren Einsatzmöglichkeiten des vorhandenen Abwehrmittels hat der Verteidigende nur dann das für den Angreifer am wenigsten gefährliche zu wählen, wenn ihm Zeit zum Überlegen zur Verfügung steht und durch die weniger gefährliche Abwehr dieselbe, oben beschriebene Wirkung erzielt wird.

Strafgesetzbuch

§ 32 Notwehr

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Gerichte haben es zweifellos schwer, zum Teil komplizierte Abläufe eines Tatgeschehens rechtlich so aufzubereiten, dass auch Recht nach dem Gesetz gesprochen werden kann. Das gilt vor allem dann, wenn die zu bewertenden Handlungen ohne große zeitliche Verzögerung erfolgen und tiefgreifende Überlegungen über das zu verwendende Abwehrmittel wegen unmittelbar drohender Gefahr nicht möglich sind. Hier ein Beispiel aus dem oben geschilderten Fall:

Der Schlag mit dem Bierglas ließ eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten. Der Angeklagte musste sich nicht auf ein bloßes Wegschubsen des Nebenklägers, einen Schlag mit seiner freien linken Hand (der Angeklagte ist Rechtshänder) oder darauf einlassen, zunächst das Bierglas aus der rechten Hand zu nehmen, um dann mit der bloßen Faust zuzuschlagen, oder vorher den Schlag mit dem Bierglas anzudrohen. Angesichts der Unmittelbarkeit der Gefahr eines weiteren Angriffs hätten schon diesbezügliche Überlegungen zu einer zeitlichen Verzögerung geführt, die womöglich eine erneute Attacke des Nebenklägers begünstigt hätten. Hinzu kommt, dass die dargestellten Alternativen, auch wenn der Nebenkläger von eher schmächtiger Natur ist, angesichts der Aggressivität seines bis dahin gezeigten Verhaltens und der Rückendeckung durch den Zeugen U. in ihrer Geeignetheit zur sofortigen Beseitigung der Gefahr zweifelhaft gewesen wären.

Im vorliegenden Fall hatte das Amtsgericht noch zu Ungunsten des Bierglaswerfers entschieden. Auf dessen Berufung hin sprach ihn das Landgericht frei. Daraufhin legten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Nebenkläger Revision ein. Das OLG Hamm bestätigte jedoch dem Landgericht, dass seine Entscheidung frei von Rechtsfehlern sei und die Annahme einer Nothilfe nach § 32 StGB keinen rechtlichen Bedenken begegne.

Quelle: Nichtraucher-Info Nr. 93 – I/2014