Volksbegehren und Volksentscheid Nichtraucherschutz

2009/10 kam es zu einer weltweit einmaligen Volksabstimmung. 9,4 Millionen Wahlberechtigte in Bayern entschieden darüber, ob in Gaststätten geraucht werden darf oder nicht. Hier eine Darstellung der wichtigsten Geschehnisse:

Das Volksbegehren Nichtraucherschutz – eine kurze Chronologie –

2007 Oktober: Die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag beschließt nach einer regen Diskussion und Abwägung von Alternativen den bundesweit umfassendsten Nichtraucherschutz. CSU-Fraktionschef Georg Schmid: "Nur so können ein effektiver Nichtraucherschutz erreicht und Wettbewerbsverzerrungen zulasten kleiner Gaststätten vermieden werden." Das Rauchverbot soll für alle Gaststätten gelten, die öffentlich zugänglich sind, sowie für Diskotheken und Festzelte.

2007 Dezember: Der Bayerische Landtag verabschiedet mit einer Mehrheit von 84 Prozent den Gesetzentwurf der CSU. Das Gesetz wird Gesundheitsschutzgesetz genannt. Die Bezeichnung ist bewusst gewählt, um den Zweck des Gesetzes herauszustreichen.

2008 Januar-März: Das Gesundheitsschutzgesetz tritt in Kraft und wird von den Bürgern angenommen. Im ersten Quartal kommt es zu enormen Umsatzsteigerungen vor allem in der getränkegeprägten Gastronomie von real 8,3 Prozent (Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung). In den Massenmedien werden allerdings vorwiegend Gastwirte zitiert, die über hohe Umsatzverluste klagen.

2008 April: Die Nichtraucher-Initiative München (NIM) reicht eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof mit der Begründung ein, dass Teile des Gesundheitsschutzgesetzes verfassungswidrig sind (unzureichender Schutz der Beschäftigten, Raucherclubs). Bernhard Suttner, Vorsitzender der ÖDP Bayern, schließt sich der Popularklage an.

2008 April-September: Im Laufe des Jahres nutzen immer mehr Gaststätten eine Gesetzeslücke, um sich zur Raucherclub-Gaststätte zu erklären. Die Umsatzsteigerungen in der getränkegeprägten Gastronomie verringern sich erheblich auf nur noch 2,5 Prozent im zweiten und 1,7 Prozent im dritten Quartal.

2008 September-Oktober: Bei der Landtagswahl in Bayern verliert die CSU 17,3 Prozentpunkte und landet bei 43,4 Prozent. Das Rauchverbot in Kneipen soll schuld daran sein, dass die CSU so wenig Zuspruch gefunden hat, und nicht die unprofessionelle Einführung des achtjährigen Gymnasiums (G8), nicht die Rolle rückwärts beim die Eltern belastenden Büchergeld, nicht die Einführung von Studiengebühren, nicht das Gezerre um den Stoiberrücktritt, nicht die Milliardeneinbußen der Bayerischen Landesbank und nicht das Prestige-Objekt Transrapid. Noch bevor es zu Koalitionsverhandlungen mit der Raucher-Partei FDP kommt, spricht Horst Seehofer davon "das Rauchverbot zu lockern". Im vierten Quartal 2008 kommt es bei der getränkegeprägten Gastronomie zu einem Umsatzrückgang von 9,6 Prozent.

2008 Oktober-Dezember: Der Umsatz der getränkegeprägten Gastronomie in Bayern stürzt im Oktober um 19,1 Prozent ab. Im gesamten Quartal gibt es ein Umsatzminus von 9,6 Prozent.

2009 April: Der Vorstand der ÖDP beschließt ein Volksbegehren zum Nichtraucherschutz und gewinnt den Ärztlichen Arbeitskreis Rauchen und Gesundheit, die Nichtraucher-Initiative München und Pro Rauchfrei als Mitinitiatoren. Zwei Wochen nach dem ÖDP-Beschluss wird bei einer gemeinsamen Pressekonferenz der Start der ersten Phase des Volksbegehrens mit der Sammlung der erforderlichen und von den Einwohnermeldeämtern bestätigten 25 000 Unterschriften eingeläutet.

2009 Mai-Juni: Noch nie fand die Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren so viel Zuspruch. Innerhalb von gut vier Wochen war das erste Ziel erreicht. Um eine Kollision mit der Bundestagswahl zu vermeiden, wurde die Unterschriftensammlung bis Ende Juni fortgesetzt.

2009 Juli: Am 17. Juli übergaben die Initiatoren dem Vertreter des Innenministeriums nach Postleitzahlen sortierte Listen mit mehr als 40 000 beglaubigten Unterschriften.

2009 August: Den vier Initiatoren schließen sich die Parteien Bündnis 90/Die Grünen und Bayern-SPD sowie die Dieter Mennekes Umweltstiftung an. Am 18. August gründen sie das Landesorganisationskomitee Volksbegehren Nichtraucherschutz. Zum Geschäftsführer des Aktionsbüros Volksbegehren, angesiedelt in der ÖDP-Geschäftsstelle in Passau, wird Sebastian Frankenberger gewählt.

2009 August-Oktober: In intensiver und fast ausschließlich ehrenamtlicher Arbeit wird das Material erstellt, mit dem über das Volksbegehren informiert werden soll. Das entscheidende Wort ist "Eintragen". Die ersten Plakate werden an die in vielen Landkreisen und Gemeinden sich bildenden Aktionskreise, die hauptsächlich aus Mitgliedern der drei politischen Parteien bestehen, versandt. Deren Aufgabe ist es auch, in ihren Städten und Gemeinden Anträge auf Verlängerung der gesetzlichen Mindesteintragungszeiten zu stellen. Im Laufe der Zeit erklären sich immer mehr Verbände und Organisationen zu Partnern des Volksbegehrens, z.B. der Bayerische Leichtathletikverband und der Bund Naturschutz in Bayern. Das vom Mitinitiator Ärztlicher Arbeitskreis Rauchen und Gesundheit organisierte breite Gesundheitsbündnis mit Ärzten, Apothekern, Physiotherapeuten, Pflegekräften und vielen Organisationen des Gesundheitswesens nimmt wegen seiner Größenordnung eine Sonderstellung ein. In wöchentlichen Telefonkonferenzen informieren sich die Organisatoren über den Verlauf der Vorbereitungen und stimmen sich miteinander ab.

2009 November-Dezember: In vielen Orten Bayerns kleben über 3 000 Mitglieder von Aktionskreisen Plakate, verteilen Material bei Informationsständen und werfen Benachrichtigungskarten in die Briefkästen. Viele Ärzte und Apotheken hängen Plakate aus. Das Volksbegehren Nichtraucherschutz startet am 19. November so gut wie kein Volksbegehren zuvor. Hunderte Rathauslotsen sprechen Passanten an und bitten sie um Eintragung in die Unterstützerlisten. Auf die in zahlreichen Arbeitsstunden erstellte und gepflegte Internetseite des Volksbegehrens www.nichtraucherschutzbayern. de greifen jeden Tag zehntausende Personen zu. Es bildet sich eine Facebook-Gemeinde mit über 10 000 Teilnehmern. Die Zwischenstandsmeldungen der Gemeinden sind ein erster Anhaltspunkt dafür, dass das Volksbegehren auf dem Erfolgsweg ist. Da nur etwa die Hälfte der Gemeinden die Zahl der Eintragungen meldet, besteht jedoch bis zum letzten Tag eine gewisse Unsicherheit. Der fulminante Endspurt am 2. Dezember mit bis zu über 200 Meter langen Menschenschlangen rund um das Münchner Rathaus lässt es zur Gewissheit werden: Noch nie trugen sich in Bayern so viele Menschen für ein Volksbegehren ein: 1 298 746, das sind 13,9 Prozent aller Wahlberechtigten. egk

Vor Kameras und Mikrofonen freut sich Sebastian Frankenberger, Hauptorganisator des Volksbegehrens Nichtraucherschutz, über das Endergebnis, das vom Bayerischen Staatsministerium des Innern am Vormittag des 3. Dezembers per Internet bekannt gegeben und in der Münchner Gaststätte Kreuzberger per Beamer an die Wand geworfen wurde.

Quelle: Nichtraucher-Info Nr. 77 – I/10

Der Volksentscheid Nichtraucherschutz – 61 Prozent stimmen mit Ja! –

Als "Triumph der Nichtraucher" bezeichnete die Süddeutsche Zeitung am Tag nach der Abstimmung das Ergebnis des Volksentscheids. "Die Bayern haben abgestimmt und sich für Deutschlands schärfstes Rauchverbot entschieden. Damit ist das Qualmen künftig in allen Gaststätten untersagt – ohne Ausnahme." Nachdem der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes das Landesnichtraucherschutzgesetz, das am 1. Juli 2010 in Kraft treten sollte und das inhaltlich dem bayerischen Gesetz gleicht, bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt hat – es prüft allerdings nur die Erforderlichkeit von Übergangs- und Ausgleichsregelungen für betroffene Gaststättenbetreiber –, ist Bayern ab 1. August 2010 das erste Bundesland mit ausnahmslos rauchfreien Gaststätten.

Insgesamt waren 9,4 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, von denen über 3,5 Millionen ins Wahllokal gingen oder per Briefwahl über den Nichtraucherschutz in Gaststätten und Festzelten abstimmten.

Viele Millionen Menschen aus ganz Deutschland fieberten mit. Sie wünschten den Bayern Erfolg und zeigten dies schon Monate vorher mit ihren Spenden für das Volksbegehren Nichtraucherschutz in Bayern. Dafür ein herzliches Danke!

Nun sind die Bayern in der Pflicht, den Bürgern in den anderen Bundesländern auch zu einem Nichtraucherschutz zu verhelfen, der seinen Namen wirklich verdient. Die ersten Schritte dazu sind bereits getan oder eingeleitet. Weitere werden in den nächsten Monaten folgen.

Quelle: Nichtraucher-Info Nr. 79 – III/10