Für oder gegen Tabakrauch sind noch nirgends auf der Welt tausende Menschen auf die Straße gegangen. Auch gegen das Coronavirus hat noch nie jemand demonstriert. Denn die Demos in Stuttgart oder Berlin richteten sich nicht gegen das Virus, sondern gegen die von der Legislative und der Exekutive getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Weiterverbreitung des zur Corona-Gruppe gehörenden SARS-CoV-2. Diese Maßnahmen, dazu gehörte auch eine Ausgangssperre (lock-down), haben dazu beigetragen, die Neuinfektionen innerhalb von ein paar Wochen von täglich über 6000 Anfang April auf rund 1000 Anfang September zu drücken. Verschiedenen Repräsentativbefragungen zufolge hält ein kleinerer Teil der Bevölkerung diese Maßnahmen für zu weitgehend. Über 80 Prozent der Befragten halten jedoch die getroffenen Maßnahmen für angemessen oder sogar für nicht weitgehend genug – so zuletzt die Forsa-Umfrage von Ende August im Auftrag von RTL.
Die beiden Abbildungen auf der Titelseite verzerren den wesentlichen Unterschied zwischen einem Coronavirus und Tabakrauch. Das Virus ist so klein, dass es höchstens unter einem Elektronenmikroskop zu sehen ist und es einer millionenfachen Vergrößerung bedarf, um es für das menschliche Auge ohne weitere Hilfsmittel erkennbar zu machen. Tabakrauch hingegen ist nicht nur sichtbar, sondern auch noch riechbar.
Ein NID-Mitglied, das ungenannt bleiben will, weil sein Name nicht im Internet zu finden sein soll, verweist auf einen weiteren Aspekt: „Während beim Coronavirus ein einziger Kontakt zur Infektion mit teilweise raschem tödlichem Ausgang reicht, ist das beim Tabakrauch nicht der Fall, insbesondere, weil ein Nichtraucher bei der heutigen Rechtslage in der Regel nur noch im Freien unfreiwillig Tabakrauch ausgesetzt ist. (…) Auch wenn beides mit gesundheitlichen Risiken (beim Tabakrauch sowohl für den Raucher als auch für den Passivraucher) verbunden ist, ergibt sich bei näherer Betrachtung, dass beides nicht gleichzusetzen ist. Gegen Viren haben Raucher und Nichtraucher etwas, d.h. alle Menschen.“
Im August hatte die spanische Regierung verkündet, Rauchern das Rauchen im Freien zu verbieten. Nein, nicht völlig, sondern nur dann, wenn sie dabei nicht mindestens zwei Meter Abstand zu ihren Mitmenschen halten. Für die Zeit des Rauchens wären sie dann von der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Freien enthoben. Wie in anderen Ländern haben auch die spanischen Raucher das Rauchverbot in Innenräumen von Gaststätten zu einem Happening vor den Lokalen genutzt. Dicht beieinanderstehend tauschen sie sich seitdem über Sport, Freund, Freundin, Politik und anderes mehr aus. Mit der Zwei-Meter-Distanz-Regelung soll lediglich der Virusinfektion vorgebeugt werden. Zwei Meter, das ist ein halber Meter mehr als der Mindestabstand, der in Deutschland empfohlen wird.
Zwei große internationale Metaanalysen (Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse verschiedener Studien) bestätigen die schlechtere Prognose und Sterblichkeit bei Covid-19-Patien¬ten, die Raucher sind. Danach haben Raucher eine um den Faktor 1,4 höhere Wahrscheinlichkeit für einen schwereren Verlauf von Covid-19. Die Wahrscheinlichkeit, intensivmedizinische Betreuung oder Beatmung nötig zu haben oder gar zu sterben, liegt sogar um den Faktor 2,4 höher als bei Nichtrauchern. Die Metaanalysen stützen sich dabei unter anderem auf eine Auswertung von Patientendaten aus China, die im März im New England Journal of Medicine erschienen ist.
Schwere Verläufe können zwar auch bei Personen ohne bekannte Vorerkrankung und bei jüngeren Patienten auftreten, doch bei einigen Personengruppen werden schwere Krankheitsverläufe laut Robert-Koch-Institut (RKI) häufiger beobachtet. Dazu gehören auch die Raucher – und die Ex-Raucher. Letztere werden häufig der Nichtrauchergruppe zugeordnet, was zu einer Verzerrung der tatsächlichen Bedeutung des Rauchens für eine Covid-19-Erkrankung führt. Denn, so der Lungenspezialist Prof. Dr. Norbert Suttorp, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité Berlin: „Die Lunge merkt sich jede Zigarette“.
Allerdings kam eine französische Untersuchung im April zu dem Ergebnis, dass der Anteil der Raucher an den Corona-Infizierten und Covid-19-Erkrankten niedriger war als der Anteil der Raucher in der Bevölkerung. Dieser positive Effekt wurde mit dem Nikotin in Verbindung gebracht, das dem Coronavirus das Eindringen in die Zellen erschweren und so vor Covid-19 schützen soll.
Infolge der Berichte in den Medien kam es in Frankreich plötzlich zu Hamsterkäufen. Nicht auf Klopapier hatten es die Kunden abgesehen, sondern auf Nikotinersatzprodukte. Das wiederum rief die französische Regierung auf den Plan. Sie verbot den Verkauf von Nikotinpflastern, -kaugummis oder anderen Ersatzstoffen im Internet und schränkte den Verkauf in Apotheken ein. Diese durften nur noch Mengen abgeben werden, die für eine einmonatige Behandlung der Nikotinsucht reichen.
Die französische Gesellschaft für Suchtforschung wies darauf hin, dass wahrscheinlich so wenige Raucher unter den Erkrankten waren, weil Menschen über 65 Jahren sowieso weniger rauchen (nur 11 Prozent) als die Allgemeinbe-völkerung (28 Prozent). Das ist ein überzeugendes Argument: Da in den ersten Monaten der Corona-Pandemie weitaus mehr ältere als jüngere Menschen betroffen waren, zugleich aber unter den älteren der Raucheranteil niedriger ist als im Durchschnitt der Bevölkerung, bewegt sich der Anteil der Raucher unter Krankenhauspatienten wohl etwa auf der Höhe des altersgemäßen Anteils. Im Wissenschaftsjargon heißt diese Fehlerquelle selection bias: eine statistische Verzerrung bei der Auswahl von Stichprobeneinheiten.
Doch ganz abgesehen davon, dass der Hauptautor der französischen Studie, Jean-Pierre Changeux, in der Vergangenheit Verbindungen zur Tabakindus-trie gehabt hat, könnte eine eventuell geringere Infektionsanfälligkeit einen völlig anderen Grund haben: Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Mund- und Nasenschleimhäute der Raucher durch die „Spülung“ mit Tabakrauch auch dem Coronavirus zu schaffen machen könnten. Jedes Virus braucht zur Anhaftung und Vermehrung einen guten Nährboden, und den könnten die stinkenden Raucherschleimhäute eventuell nicht bieten.